Badlands National Park

Wir sind früh auf den Beinen, denn noch trennen uns 300 Meilen vom ersten Halte­punkt im Westen, den Badlands. Dreihundert Meilen, also fast 500 km, das entspricht einer Tagesfahrt, weil das Land immer wieder Überraschungen bereit hält und zu kurzen Fotosafaris animiert.

 

Von einem Tag auf den anderen scheinen sich die Schwerpunkte in der Umgebung verschoben zu haben, setzten Mensch und Umwelt neue Akzente. Gestern noch beherrschten turmhohe Silos, ausgedehnte Agrarflächen, stattliche Farmen, also alle nur erdenklichen Spielarten von Getreideanbau und -verwertung und die kleinen und mittleren Städte entlang der Haupteisenbahnlinien die Szenerie. Heute ist dieses Bild deutlich verändert. Schon hinter Sioux City verschwinden die Städte, Grasland unterbricht die Monokul­tu­ren, verschafft sich mit jedem Kilometer in Richtung Rocky Mountains mehr Raum. Kaum merkliche Schwingungen im Auf und Ab der Great Plains des Mississippi­beckens weichen nun zunehmend grünen Hügeln. Hier in diesem Vorfeld des Felsenge­birges ist die Experimentierküche der Präriegräser, einst von Südkanada bis Te­xas reichend, noch intakt. Das verleiht diesem Landstrich etwas urwüchsiges, manchmal auch unwirtliches.

 

Auch klimatisch bahnt sich ein Umschwung an. Wir sind ja nicht nur nach Westen, sondern auch weit in den Norden der Vereinigten Staaten vorgedrungen. Eisige Winter mit Temperaturen bis minus 40°C sind hier keine Seltenheit, Winter mit Blizzards, welche die Farmen mitunter mehrere Tage lang von der Außenwelt abschneiden, Tage in denen die Familien, auf sich alleine gestellt, ausharren müssen. Die kürzeren Wachstumsperioden und die kargeren Böden zwingen zu Mischwirt­schaft. Die Höfe weniger prunkvoll, der Maschinenpark erheblich reduziert, unter dem Strich aber lebendiger mit Kühen, Pferden, Borsten- und Federvieh eher unserem Klischee einer heilen Welt entsprechend.

 

Zeugnisse menschlicher Aktivität rücken nun mehr und mehr in den Hintergrund - hier ein paar Zäune, dort vereinzelte Heuballen, in der Ferne eines jener für den semiariden Westen der USA so typischen metallenen Windräder, als weithin sicht­barer Außen­posten der Zivilisation. Es ist, als wolle uns die Umgebung auf "bad land", was ja Ödland, was wüstenhaftes, lebensfeindliches Land meint, vorbereiten. Innerlich schon auf das aride Inferno ein­gestellt trifft uns ein plötzlich sich auftuendes Meer gelb blühender Gräser unvorbereitet und löst ein Wechselbad der Gefühle aus.

 

Schließlich naht die Interstateausfahrt, nur noch wenige Meilen sind zurückzulegen, aber vom Park keine Spur. Die tief stehende Sonne wirft ihr rötlichgelbes Licht auf Büsche und Gräser. Ungeduldig suchen wir den Horizont ab, wohl wissend, dass es nicht mehr allzu weit sein kann. Doch nichts tut sich. Dann endlich, mit einem Male kräuselt sich der Horizont. Die sanft geschwungene Grenzlinie, die grünes Hügelland und Himmelsblau trennt, schaltet Zacken ein und wächst zu einer rötlich-weißen Wand, die am Ende als steinerne Burg mit Zinnen und Türmchen vor uns steht. Die Straße umkurvt elegant die steinerne Festung und er­schließt was diese eben noch verbarg. Vor unseren Augen öffnet sich eine phan­ta­stische neue Welt, bestehend aus unzähligen meter-, manchmal auch zehnermetertiefen Schluchten, die steil an­stei­gende Hänge und kleinflächige Plateaus abtrennen.

Die hämatitrot und weiß gebänderten Hänge der Canyons bringen das Grün und Gelb der Gräser auf den Plateaus noch besser zur Geltung. Wo die Vegetation völlig fehlt, nimmt das Gelände den Charakter einer aufregenden aber fremden und unheimlichen Mondlandschaft an.

 

Die Gesteine, überwiegend Lockersedimente, welche während des Aufstiegs der Rockies im Erdmittelalter als Flußablagerungen vor der Gebirgsfront Platz nahmen und Aschen aus vulkanischer Tätigkeit im Yellowstone-Gebiet, die die Westwinde in den Bereich der Badlands verfrachteten, wechseln vertikal in ihrer Festigkeit. Einzelne harte Lagen im oberen Teil des Schichtenpaketes werden von den erodie­renden Kräften als rauhe, scharfkantige, wildzerklüftete Steilstufen herauspräpariert. Sie kontrastieren die weichen Konturen sanft ansteigender, halbkreisförmig vor- und zurückschwingender Kegel tiefer liegender Abschnitte, deren Hangflächen dendri­tisch verzweigte Abflussrinnen und -kanälchen zieren.

Weiter entfernt liegende Areale wirken im Spiel von Licht und Schatten wie Dünenfelder. Wandert man durch die Canyons, streift mit der Hand an der einen oder anderen Stelle über den Hang und löst die erhärtete Kruste, so lässt sich das nunmehr unge­schützte Material leicht mit dem Finger herauspulen. An steileren Partien brechen manchmal ganze Fladen krümeligen Gesteins herunter.

 

In den Badlands werden außerordentlich hohe, gar rekordverdächtige Erosionsraten erreicht. In Extremfällen können wenig verfestigte Aschenlagen in einem Jahr zehn bis fünfzehn Zentimeter an Höhe verlieren. Verantwortlich hierfür zeichnen das semiaride Klima mit heftigen Ruckregen, welche auf eine unzureichende Pflanzendecke niederprasseln, die geringe Verfestigung der Sedi­mente sowie Frostsprengung und ein hoher Ton- und Lehmanteil, der zu verstärktem ober­irdischen Abfluss beiträgt. Heftige Schauertätigkeit vermag ganze Hänge mit einem Male abrutschen zu lassen, die dann in den Canyons kleine Seen aufstauen. Das Bersten eines solchen künst­lichen Staudamms bringt Schlammlawinen ins Rollen, die alles mitreißen, was sich ihnen in den Weg stellt. Infolge der enormen Materialabfuhr entstand eine fast hundert Kilometer lange und zehn Kilometer breite Ödlandzone, die oberhalb des White River durch rückschrei­tende Erosion allmählich nach Norden wandert.

 

Die Einheimischen bezeichnen diese Zone etwas abschätzig als Wall, also Wand oder Mauer, weil sie die Prärien South Dakotas zweiteilt und dadurch vor allem den frühen Siedlern erheblich zu schaffen machte. Ganz angetan von der Nordwanderung der Badlands sind allerdings die Paläontologen; legte sie doch unter anderem Schichten des Mittleren Tertiärs (Oligozän) frei, welche eine reiche Wirbeltierfauna enthalten, die besonders gut die Entwicklung der Säugetiere jener Zeit dokumentiert.

 

Eines empfinden wir nach den Erfahrungen im dichtbesiedelten Osten als besonders angenehm. Trotz Hochsommer, Ferienzeit und vollbesetztem Campingplatz verlieren sich die Besucher in der Weite des Raumes. Sobald man an einem der Viewpoints die Straße verlässt und in die kleinen Schluchten hinabläuft, ist man alleine, wandelt durch schein­bar unbelecktes Terrain, umgeben nur vom eigenen Echo.

 

Eine ganze Weile folgen wir fotografierend den geschwungenen kleinen canyons, erklimmen den einen oder anderen Aussichtspunkt um kurz zu rasten und entfernen uns auf diese Weise immer weiter von unserem rollenden Heim. Abgesehen von einigen wenigen Vögeln deutet nichts auf tierisches Leben hin, vermutlich sind wir dafür aber auch einfach zu laut oder die „Nachtschicht“ hat noch nicht begonnen. Trotzdem ist uns nicht so ganz wohl bei dem Gedanken den Streifzug durch unbekanntes Terrain im Dämmerlicht immer weiter fort­zu­setzen, schließlich ist hier im Westen durchaus mit Schlangen zu rechnen und so orientieren wir uns irgendwann doch in Richtung der Straße, um dort festzustellen, dass wir uns ein gutes Stück von unserem Van entfernt haben. Nachdem wir den ganzen Tag dieser beeindruckenden Landschaft entgegenfieberten waren wir nun, da sie sich so verschwenderisch vor uns ausbreitete so überwältigt, dass wir wieder einmal vollkommen vergessen haben, rechtzeitig einen geeigneten Schlafplatz zu suchen. Als wir endlich unser rollendes Heim erreichen, ist es schon richtig duster. Wir verlassen den Park, irren eine ganze Weile auf unbekannten Landstraßen durch die Prärie, um reichlich spät und nach mühevoller Suche endlich einen geeigneten Abstellplatz am Rande einer Landstraße zu finden der uns ausreichend sicher erscheint. Bei Kerzenlicht bereitet Angelika unser Nachtmahl, das mangels Einkaufsmöglichkeiten heute etwas spärlich ausfällt. Der vor wenigen Stunden noch tiefblaue Tageshimmel zeigt sich jetzt als blauschwarzes Meer mit Myriaden von Sternen. Über dem ganzen Land liegt eine unsägliche Stille. In der Ferne wandern kleine Lichtpunkte von vereinzelt sich über die Landstraßen bewegenden Fahrzeugen den Horizont entlang. Ein wenig verloren kommen wir uns schon vor, aber in wenigen Stun­den bricht der neue Tag an und nachdem uns bisher niemand behelligte, schließen wir die Luken und legen uns nieder.

 

Als wir aufwachen steht die Sonne bereits hoch am Firmament. Dass es so spät gewor­den ist, liegt nicht nur an den Anstrengungen des Vortages. Zum wiederholten Male hat­ten wir einen nächtlichen Besucher, vermutlich eine Maus deren ständiges Bemühen sich an unseren Vorräten zu laben besonders Angelika sehr zu schaffen machte. Sie hat ohnehin einen leichten Schlaf und wird von eindeutigen Geräuschen dieser Art sehr schnell aufgeweckt. Dabei nervt sie am wenigsten, dass irgendwelche Nager an unsere Vorräte gelangen könnten, die seien ihnen gegönnt. Sollte sie am fol­gen­den Morgen Fressspuren erkennen, würden die Lebensmittel einfach weggeworfen und das Problem wäre erledigt. Die Vorstellung aber, die Tierchen könnten sich auf ih­rem Weg durch unseren Van auch nur in die Nähe von Angelikas Nachtlager verirren, lässt sie er­schaudern. Mindestens genauso schlimm ist, dass solche Ereignisse dank eines überaus guten Schlafes regelmäßig an mir vorbeigehen. Und das ist überhaupt nicht lustig! Also werde ich in solchen Fällen durch heftiges Schubsen solange in Schwingungen versetzt bis ich genervt aufwache, auf das auch ich Teil habe am nächtlichen Drama. Sodann wird mir die ehrenvolle Aufgabe zuteil, mein Weib vor dem Drachen zu retten. Der agiert jedoch so geschickt, dass ich, bei Ker­zen­licht, übermüdet im unaufgeräumten Van herumstolpernd nicht den Hauch einer Chance habe, dem Treiben ein Ende zu setzen. Wenn ich das Gefühl habe meinen guten Willen ausreichend dokumen­tiert zu ha­ben, so dass auch mein Weib die Sinnlosigkeit meines Unterfangens erkennt, wechs­le ich die Front und versuche Angelika davon zu überzeugen, dass der Eindringling nicht an uns sondern ausschließlich an unseren Vorräten interessiert ist. Nach längerem Zureden tauschen wir anschließend die Bettseiten, damit im Zweifel ich und nicht sie dem Feind von An­ge­sicht zu Angesicht gegenüber liegen muss und schaffen es gelegentlich auch noch vor Ta­ges­anbruch wieder einzuschlafen.

 

Ja, und so steht dann eben das Himmelsgestirn schon fast im Zenit als wir unsere Vor­hän­ge zurückziehen, um den neuen Tag zu be­grüs­­sen. Im Zuge unserer nächtlichen Irrfahrt sind wir soweit abgetrieben, dass uns nun wieder der grüne, nahezu baum- und strauchlose Teppich an Rande des Parks umgibt. Nach­dem wir uns tagfein gemacht ha­ben, setzen wir unser Gefährt in Bewegung, haben aber zunächst einige Orientie­rungs­probleme. Erst als die Interstate wieder vor unseren Augen auf­taucht, finden wir zurück zu den Badlands. Als das gelbe Blumenmeer wieder in das ve­ge­ta­tions­arme Labyrinth übergeht, ist der abendliche Zauber verflogen. Im hellen Son­­nen­licht fehlt der Kontrast und so kommen die weiß-rot gebänderten Hänge nun weit we­ni­ger zur Geltung als gestern bei tiefstehendem Himmelsgestirn.

 

Auch heute begeben wir uns wieder in eine der kleinen Schluchten und folgen ihrem geschwungenen Lauf in das bis zum Horizont reichende steinerne Meer. In feuchteren Täl­chen konnte sich der grüne Teppich, der die Badlands weiträumig umschließt auch in­nerhalb dieser ansonsten kargen Landmasse ausbreiten. An anderer Stelle treffen wir neben den weiß-rot gebänderten Hängen auch auf gelbbraune Gesteinsmassen, wel­che die weiß-roten Bänder vorzüglich kontrastieren. Glauben wir an einem Ausstiegsort die interessantesten Punkte gesehen zu haben, so kehren wir zurück zum Fahrzeug und machen View-Point-Hopping. Überall wo es in­te­res­sant erscheint, halten wir an und beginnen die nächste Wanderung. An einem der Rastplätze treffen wir gelegentlich auf US-Amerikaner die uns ansprechen und staunen, dass wir, unser Nummernschild zeigt dies jedenfalls an, den langen Weg vom „Garden State“ New Jersey bis in diese Einöde auf uns ge­nom­men haben. Noch erstaunter sind sie dann natürlich, wenn sie erfahren, dass unserer Heimat noch etwas weiter östlich liegt. Von ihnen erhalten wir wertvolle Hinweise wo es sich lohnt die Straße zu verlassen und die Umgebung zu erkunden.

 

Trotz des dünnen Straßennetzes zeigt sich auch heute nur wenig Verkehr. Viele Be­sucher beschränken sich auf einen kur­zen Ausstieg an den verschiedenen Viewpoints und so verlieren sich jene die in die Schluchten vordringen schnell in den Weiten des Labyrinths. Aus benachbarten Can­yons hört man gelegentlich Stimmen, die nahe zu sein scheinen. Erklimmen wir aber ei­nen der Kämme und versuchen den Eindringling zu orten so wandert dieser häufig in deut­licher Entfernung durch die steinernen Gänge oder bleibt unserem Auge hinter al­lerlei Windungen vollständig verborgen. Von einem etwas höheren Hügel aus sehen wir in der Ferne sattes Grün auf dem sich Wild tummelt. Vermutlich sind es Antilopen, doch die Tiere sind einfach zu weit entfernt um das genau erkennen zu können. 

 

In den Badlands haben wir einen ersten Vorgeschmack erhalten auf das, was nun noch kommen mag. Stille und Einsamkeit, unermeßliche Weiten, raue unbarmherzige Natur, Geschmack von Freiheit und Abenteuer. Wir durften an all dem schnuppern und es gefällt uns, davon hätten wir gerne noch mehr.  

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