Mi., 07.11.2018, Anfahrt Azrou, 165 km
Eigentlich wollten wir heute nochmals von Khenifra aus in die Berge fahren und noch eine Nacht in Khenifra verbringen. Nachdem wir allerdings die Nacht schlecht geschlafen haben und das Duschwasser am Morgen partout nicht warm werden wollte, haben wir umdisponiert. Plan B war über die Berge in Richtung Midelt zu fahren, noch vor Midelt dann allerdings die Nationalstraße 13 nach Azrou und weiter nach Sefrou zu nehmen und noch 2 Tage in Sefrou zu verbringen. Das hätte aber bedeutet, dass wir wieder nur den ganzen Tag gefahren wären, deshalb haben wir uns am Ende entschlossen den direkten Weg über die N8 zu nehmen und uns erst einmal in Azrou umzusehen.
Die Nationalstraße 8 verläuft, anders als zwischen Ouzoud und Khenifra über höher gelegenes Terrain, ist kurvenreicher, das Gelände auch etwas welliger und die Straße ist schmäler. Der Himmel ist herrlich blau, die Sonne strahlt und es macht wieder einmal richtig Spaß übers Land zu fahren.
Obwohl wir uns ja weiterhin auf der N8 bewegen, ist die Straße heute deutlich weniger befahren. Das kann ein Zufall sein, das kann aber auch an der parallel verlaufenden R712 liegen. Uns ist es letzten Endes egal, Hauptsache wir können gemütlich durchs Land tuckern und sind niemandem im Wege.
Weniger schön ist allerdings, dass wir kein geeignetes Café finden, in dem man mal so richtig gemütlich frühstücken könnte. Wir sind halt abseits der Tourirouten und die Einheimischen haben Besseres zu tun, als ihren kärglichen Lohn gleich wieder für eine üppige Morgenverpflegung loszuwerden.
Im Vorbeifahren sehen wir an einer Tankstelle eine Waschgelegenheit und beschließen kurzerhand unser verdrecktes Fahrzeug innen und außen mal so richtig auf Vordermann bringen zu lassen. In Marokko ist das überwiegend noch Handarbeit. Glücklicherweise hat der Angestellte aktuell nur ein Auto in der Mangel, also meldet Michael sich gleich an und kann schon wenig später in die Waschhalle einfahren. Der Angestellte kann gar nicht glauben, dass wir ein nach seiner Auffassung noch recht sauberes Fahrzeug so gründlich gereinigt haben wollen. Allerdings muss man berücksichtigen, dass seine Kundschaft überwiegend mit Pickups auf Schotterpisten unterwegs ist und nicht selten Vieh transportiert. Da sammelt sich natürlich wesentlich mehr Dreck auf den Fahrzeugen, als wenn man überwiegend auf Asphalt unterwegs ist.
Neben der Tankstelle mit Waschhalle befindet sich auch ein Café auf dem Gelände. Das kommt uns natürlich mehr als gelegen. Allerdings gibt es auch hier lediglich heiße Getränke, unsere Hoffnung auf Frühstück erfüllt sich also nicht. Das Café erscheint reichlich überdimensioniert. Abgesehen von einem weiteren Gast sind wir die Einzigen, ansonsten gähnende Leere. Da wir die Sonne genießen möchten, platzieren wir uns draußen vor der Tür, unweit des einheimischen Gastes. Kurz darauf zieht der es vor, nach drinnen zu verschwinden. Stein des Anstoßes war wahrscheinlich wieder einmal Angelika, die mit offener, blonder Mähne zu wenig Distanz hielt. Wir wollen zwar niemanden vertreiben, aber sollte dies tatsächlich der Grund gewesen sein, dann ist es uns wurscht. Erziehungstechnisch ist hier noch einiges zu leisten, da fangen wir gleich mal an, wir haben jetzt schließlich eine Enkelin und sollten uns Gedanken um deren Freiheitsgrade machen, auch wenn wir nicht wissen, ob die jemals nach Marokko kommt.
Für 30 Dirham haben wir nach etwa 20 Minuten ein blitzsauberes Fahrzeug. Wir sind sehr zufrieden und lassen das unseren Reiniger auch wissen, indem wir ihn loben und ihm ein ordentliches Trinkgeld geben. Da strahlen schon drei und weiter geht die Reise.
Nach einer weiteren Stunde Fahrtzeit erreichen wir das Bergstädtchen Azrou. Hier wollen wir uns einmal ganz unverbindlich nach einem Hotel umschauen. Von der Talseite kommend, tuckern wir mit 30 km/h durch die Stadtmitte, sehen eine ganze Reihe kleiner Verkaufsstände, sehen auch mehrere Cafés, aber kein Hotel, wo wir auf Anhieb sagen würden, hier sollten wir bleiben. In kürzester Zeit haben wir den Ort passiert und müssen drehen, um uns nochmal genauer umzuschauen. Kurz darauf sehen wir ein Hinweisschild zu einem Hôtel le Panorama, das uns unweit oberhalb des Stadtzentrums in eine Nebenstraße führt. Schon nach 250 Metern stehen wir vor dem Haus. Es ist ein älteres Gebäude in sehr ruhiger Lage, mit dem Aussehen einer etwas überdimensionierten Villa, der man eine bewegte Vergangenheit unterstellen darf. Sowohl das Gebäude selbst, als auch das parkähnliche Umfeld sind uns sofort sympathisch. In der Lobby hat man den Eindruck, dass hier bezüglich des Interieurs in den letzten Jahren, vielleicht sogar Jahrzehnten nicht allzu viel passiert ist. Die Einrichtung ist ein wenig steif, hausbacken fast, aber da hat natürlich auch jeder seine eigenen Ansichten. Die etwas dunkle Inneneinrichtung, ein großer Kamin und ein fast schon festlich geschmückter Frühstücksraum verleihen dem Haus den Charme eines Berghotels, wie man es aus amerikanischen Filmen der 50er Jahre kennt.
Bei diesem Gesamteindruck würden wir eigentlich schon ja sagen, haben aber Bedenken bezüglich Heizung, Warmwasser, Strom und Netzanbindung. Deshalb entschließen wir uns doch lieber noch mal eines der Zimmer anzusehen, bevor wir Quartier nehmen. Ein Zimmermädchen führt uns in das zweite Obergeschoß. Das Treppenhaus ist schön breit, sodass man die Koffer bequem hochtragen kann. Durch einen dunklen Flur gelangen wir schließlich in unser Zimmer, dessen Inneneinrichtung mit einem dunkelroten Steinfußboden, einem globigen Heizkörper und einem überholten Badezimmerdesign ziemlich genau dem entspricht, was wir erwartet hatten. Da Michael den Installationen nicht ganz traut, fragt er das Zimmermädchen, ob es denn warmes Wasser gebe. Ihrer Mimik können wir, ob dieser offensichtlich etwas dreisten Unterstellung, eine leichte Entrüstung entnehmen, aber verbal hat sich die Frau im Griff. Selbstverständlich funktioniere alles bestens. Und um dies sofort zu belegen, dreht sie den Warmwasserhahn auf und nach kurzer Zeit umspült wohlig warmes Wasser Michaels Hände. Also beschließen wir, die nächsten zwei Tage hier zu nächtigen und schaffen unsere Koffer nach oben.
Nach dem ausgefallenen Frühstück zieht es uns erst noch einmal in die nahegelege Stadtmitte. Wir parken unser Fahrzeug und begeben uns ins Café Bilal. Im Erdgeschoss, wie üblich alles voll mit Männern, die offensichtlich nichts zu tun haben. Von draußen haben wir aber schon gesehen, dass man auch oben Platz nehmen kann und so begeben wir uns direkt in das zweite Obergeschoss, das wir fast für uns alleine haben. Von hier aus hat man auch einen wunderbaren Ausblick auf den Place du Ctre und die nordwestlich gelegene wunderschöne Moschee, die sich mit den grünen Ziegeln, die eigentlich Königen vorbehalten sind, schmücken darf.
Während wir gemütlich unseren Kaffee schlürfen und endlich auch etwas Vernünftiges zu essen bekommen, beobachten wir das Treiben unten auf der Straße. Obwohl wir bei der Reiseplanung Azrou gar nicht so richtig auf dem Schirm hatten, das Städtchen eigentlich nur als Durchgangsstation sahen, haben wir schon nach kurzer Zeit einen ausgesprochen positiven Eindruck von diesem Ort. Azrou ist entschleunigt. Die Leute scheinen hier mehr Zeit zu haben, die Hektik und Betriebsamkeit, die man aus den Ballungszentren Marokkos kennt, fehlt. Es wird weniger gehupt und gedrängelt und an Fußgängerüberwegen halten die Autofahrer freiwillig an, das sieht man nicht überall. Hilfreich ist wahrscheinlich auch, dass hier bisher nur 55.000 Einwohner zu Hause sind und so keine Blechkarawanen entstehen, durch die man sich stundenlang hindurchstauen müsste, um von A nach B zu kommen. Die Stadt ist insgesamt auch schöner anzusehen, als ein durchschnittliches marokkanisches Städtchen, wobei die Moschee den Vogel abschießt. Auch liegt weniger Müll auf den Straßen, man legt offenbar Wert auf ein gepflegtes Erscheinungsbild.
Ein ganz großer Vorteil ist auch das gemäßigte Klima, in dem es sich auch bei sommerlichen Extremen noch ganz gut aushalten lässt. Immerhin fallen hier übers Jahr rund 800 mm Niederschlag, das ist mehr als in manchen Teilen Deutschlands. Und so ist es auch nicht verwunderlich, dass am Rande der Stadt ausgedehnte Mischwälder einsetzen. In Marokkos Tiefebenen ist es diesen eigentlich in nordischen Klimaten heimischen Arten viel zu warm. Aber in Höhen zwischen 1.000 und 1.500 Metern, da fühlen sie sich, ausreichend Niederschlag vorausgesetzt, wohl und gedeihen prächtig.
Wir folgen der N13 in südöstliche Richtung. Von anfänglichen 1.200 Höhenmetern in Azrou schrauben wir uns langsam auf ein in gut 1.500 Metern Höhe gelegenes Hochtal hinauf. Die Straße schlängelt sich durch den Wald und gaukelt dem Besucher eine ausgedehnte grüne Oase vor. Aber schon nach 7 km Strecke markiert eine messerscharfe klimatische Grenze das Ende dieser Wälder. Noch bevor wir allerdings dieses Ende erreichen, warnen uns Verkehrsschilder vor Affen, die die Straße kreuzen könnten.
Dass es hier oben Berberaffen gibt, haben wir schon zu Hause der einschlägigen Literatur entnommen. Wo die allerdings zu finden sein würden, war uns nicht so ganz klar. Genauso wenig, wie zu Hause allerdings hinter jedem Wildwechselschild ein Hirsch auftaucht, fallen nun Horden von Affen über uns her. Immerhin steht 200 m weiter ein PKW, also halten wir an, um zu schauen, ob man tatsächlich Affen zu Gesicht bekommt. Und erstaunlicherweise sehen wir wirklich zwei Berberaffen Früchte schälend in der Nähe eines Baumes sitzen.
Wir versuchen sie anzulocken, aber die scheinen keinen Hunger zu leiden und husten uns etwas. Als Angelika dann allerdings einen Granatapfel aufbricht, überlegen sie es sich anders, kommen aus der Deckung und bedienen sich. Mit der Beute geht jeder der beiden auf einen separaten Baum und puhlt das süße Innenleben aus der harten Frucht. Ohne weitere Lockmittel sind wir aufgeschmissen, denn die Kameraden sind wohlgenährt und sehen keinen Anlass ihren sicheren Platz hoch oben in den Bäumen zu verlassen.
Wie wir jetzt erst sehen besteht der Wald aus Zedern und Eichenbäumen und soweit man das von hier unten erkennen kann, fressen die Affen tatsächlich Eicheln, eine sicherlich nicht ganz leicht zu verdauende Kost.
Wir setzen unseren Weg fort bis ans obere Ende der Wälder und treffen nun wieder auf den üblichen touristischen Rummel. Am Waldrand wäre unter natürlichen Bedingungen sicherlich am wenigsten mit einer hohen Populationsdichte an Affen zu rechnen. Weil hier aber genügend Platz für PKW und Verkaufsbüdchen vorhanden ist, besteht hier auch die größte Touridichte. Und wo Touris sind, sind auch Händler.
Eine kleine Kolonie von Kunsthandwerkern und Fossilienhändlern versucht ihre Waren an den Mann oder die Frau zu bringen. Andere bieten Bananen, Erdnüsse und sonstige Früchte zu überteuerten Preisen an und animieren die Touristen eines ihrer Pferde zu besteigen und sich durch den Wald führen zu lassen. Aber die Mehrzahl der heutigen Besucher sind Einheimische, die alles Notwendige selbst mitgebracht haben und sich vor allem daran erfreuen, dass ihre Kinder den Berberaffen hinterherrennen, um mit diesen zu spielen, ohne allerdings die geringste Chance zu haben auch nur in die Nähe dieser geschmeidigen Kletterer zu kommen. Und so ist an diesem Tag wenig Geschäft zu machen.
Die Affen sind alles andere als blöde. Ihnen ist es egal, welche Hand sie füttert. Sie wissen, dass sie an genau diesem Platz ihren Energiebedarf ohne körperliche Anstrengungen decken können und lassen sich, wann immer der kleine Hunger kommt, gerne versorgen. In den frühen Morgenstunden sind sie noch dankbare Abnehmer fast alles Fressbaren, wenn sie sich aber bis zum Mittag dank des nicht abreißenden touristischen Zulaufs die Bäuche bereits richtig vollgeschlagen haben, werden Sie wählerisch und verschmähen so manche Gabe.
Unvermeidlich gibt es leider auch ziemlich gedankenlose Zeitgenossen, die die Affen mit Süßkram, Keksen und ähnlichem Industriemüll füttern. Bei so einem kleinen Schutzgebiet müsste eigentlich der Staat eingreifen, um solchen Blödsinn zu unterbinden. Aber da fehlt das Geld an allen Ecken und Enden.
Erstaunlich ist, dass die größeren Affen trotz eines mehr als ausreichenden Nahrungsangebots mit ihren kleineren Artgenossen recht ruppig umgehen. Aber das ist wahrscheinlich zu menschlich gedacht. Für die Arterhaltung ist die Hackordnung wohl so wichtig, dass sie nicht in wenigen Jahrzehnten abgelegt wird.
Obwohl uns der Rummel nicht gerade behagt, sind die Lichtverhältnisse hier zum Fotografieren doch deutlich besser, die fressenden Affen sind auch nicht die ganze Zeit in Bewegung und so haben wir uns fototechnisch eher verbessert.
Jenseits des Waldes steigt die N13 noch etwas an und verläuft danach entlang eines Hochtals auf etwa gleichem Niveau. Auf dem Talboden wechseln felsige Untergründe und ausgedehnte Grünflächen mit dürren Gräsern und Kräutern ab. An klimatisch begünstigten Hanglagen machen sich Baumsolitäre, manchmal auch Wäldchen breit. Vereinzelt beweiden Esel die dürre Kost. Die niedere Vegetation und die großen freien Flächen lassen Winden freien Lauf und so ist es hier oben gerade in den kälteren Monaten manchmal recht frisch.
Nach wenigen Kilometern Strecke zweigt die P 7231 nach Nordosten ab. Sie führt uns entlang des Hochtals in Richtung Ifrane. Ifrane ist ein marokkanischer Wintersportort und wir malen uns schon so eine kleine Alpenidylle aus. Vor Ort sind wir dann aber doch ziemlich enttäuscht. Der Ortskern ist zwar ganz hübsch angelegt, es gibt auch einen zentralen Platz mit unterschiedlichen gastronomischen Betrieben. Vor allem aber sieht man diverse Nobelherbergen, in denen hinter hohen Zäunen und gut gesichert der Bär tanzen dürfte. Hier steigen die Reichen und Schönen ab, bleiben unter sich und wollen mit dem gemeinen Volk nichts zu tun haben. Das hatten wir uns etwas anders vorgestellt.