Mo., 05.11.2018, Ouzoud, 300 km
Die Strecke sind wir gegen den Uhrzeigersinn abgefahren. Dis Schotterpiste beginnt in Zaouiat Ahansal und führt nach Norden in Richtung Cathedrale Imsfrane und Tilouguite.
Unsere Routenplanung war von vornherein so ausgelegt, dass wir an einem der Tage am Rande des mittleren Atlas einen Ausflug in die Berge machen wollten. Zwar hatten wir, anders als auf der Südseite des Atlas kein konkretes Ziel, aber in den abgelegenen Bergregionen Marokkos wird man früher oder später immer mit irgendetwas Besonderem belohnt. Das sollte sich auch heute wieder bestätigen, wenngleich die Schere zwischen Anspruch und Wirklichkeit dann doch etwas auseinander ging.
Michael hatte bereits am Tag der Ankunft realisiert, dass wir uns in Ouzoud am Rande des GEOPARKS M`GOUN befinden und da unser Campingplatzbetreiber recht auskunftsfreudig war, ließ sich Michael von Najib erläutern, welche Regionen im Umfeld unseres Quartiers besonders interessant sein würden. Ganz nebenbei fand Najib auch noch heraus, dass es am folgenden Tag in Ouzoud überwiegend regnen sollte, während in den Bergen Sonnenschein vorhergesagt war. Da musste nicht mehr lange überlegt werden, was zu tun ist. Mit diesen Informationen stellte Michael dann eine Route zusammen, ließ sich von Najib versichern, dass diese komplett asphaltiert ist, prüfte am Vorabend nochmals die Streckenlänge und schlief mit dem guten Gefühl bestens für die kommenden Herausforderungen gerüstet zu sein ein.
Bergstrecken halten immer einige Überraschungen parat und weil wir heute ca. 270 km fahren wollen, sind wir schon gegen 07:30 Uhr abfahrbereit. Wie vorhergesagt ist der Himmel wolkenverhangen und ein leichter Niederschlag begleitet unsere ersten Zehnerkilometer.
Von Ouzoud aus geht es zunächst in die Provinzhauptstadt Azilal. Dort würden wir gerne Geld tauschen, aber wir sind zu früh unterwegs. In der Stadt verpassen wir die unscheinbare Abfahrt in Richtung Berge, versuchen uns bei Einheimischen mit mäßigem Erfolg durchzufragen, drehen am Ende des Städtchens wieder um und haben Glück als wir auf ein völlig überwuchertes Hinweisschild aufmerksam werden, das uns den Weg weist.
Hinter Azilal gewinnt die Bergstraße nun rasch an Höhe und wir gelangen von einem milden Sommerregen in eine dichte Nebelsuppe mit Sichtweiten von weniger als 30 Metern. Von wegen Sonne in den Bergen, das können wir wohl komplett knicken. Auf der teils kurvenreichen und jetzt auch nicht mehr sehr breiten Straße ist es äußerst mühsam voranzukommen. Beifahrer seitig muss man immer mit Fußgängern, Eseln oder Zweirädern rechnen, auf der Fahrbahn können überbreite LKW wie aus dem Nichts auftauchen und so sind wir ziemlich angespannt. Kurve um Kurve schrauben wir uns hoch in Richtung einer langgezogenen Hochebene, dann steigt die Straße erneut an und der Nebel will und will nicht weichen. Wir kommen ins Grübeln. Wie lange sollen wir unseren Weg fortsetzen, jeder weitere Nebelkilometer bedeutet auch einen zusätzlichen Nebelkilometer in Richtung Heimat, wenn es irgendwann wieder nach unten geht und so langsam macht das alles keinen Sinn mehr.
Nach etwa 60 km Fahrtstrecke werden die Nebel heller, die Sichtweite steigt und nach einiger Zeit kann man sogar erahnen, wo sich die Sonne hinter all dem Nebel verstecken könnte. Dann geht es schnell, wir dürften so etwa 1800 bis 2000 m hoch sein als die Wolkendecke aufreißt und erste blaue Flecken hinter dem Wolkenteppich auftauchen.
Nun kommt auch noch die Sonne heraus und wir fahren tatsächlich einem strahlend blauen Himmel entgegen. Das hatten wir jetzt wirklich nicht mehr erwartet. Nicht schlecht für einen Regentag, der uns für unten im Tal vorausgesagt worden ist.
Wir sind jetzt richtig tief in den mittleren Atlas vorgedrungen und bewegen uns zwischen zwei und zweieinhalbtausend Metern Höhe. Beeindruckende Ausblicke bieten sich auf die bis zu 3.700 Meter hohen Gipfel des Atlas, die mit einer zwar nicht sehr mächtigen, aber strahlend weißen Schneedecke überzogen sind.
Immer wieder tun sich auch schöne Blicke auf die umliegenden Täler auf und wir wissen gar nicht, wo wir die Kamera zuerst hinstrecken sollen.
Gelegentlich kommen uns vollkommen überladene Busse mit Berbern und reichlich Fracht entgegen.
Wir können nicht immer erkennen, wo die Leute eigentlich herkommen, die zu den Kleinbussen strömen, um von diesen in lokale Zentren oder vielleicht auch nur auf den abgelegenen Acker gefahren zu werden. Hier oben herrscht abgesehen vom Wind eine unglaubliche Stille. Häufig hört man Stimmen tief unten in den Tälern, ohne so recht zu erkennen, wem sie zuzuordnen sind. Vor allem Kinder sind immer recht laut und die sind dann in dieser allgemeinen Stille über große Entfernungen wahrzunehmen.
Die Hänge sind übersät mit groben Gesteinsblöcken. Zwischen diesen sammelt sich feinkörniger Verwitterungsschutt, der den Gräsern Nahrung gibt.
Dazwischen verkrüppelte Koniferen, mehr tot als lebendig, manchmal auch längst abgestorben, aber immer noch den Naturgewalten trotzend als wollten sie sagen, ihr kriegt uns nicht klein. Auch wenn wir hier keine zwei Wochen bestehen könnten die Landschaft ist wirklich fantastisch, weil man so etwas einfach nicht vor der Haustür findet und alles Seltene immer auch etwas Besonderes ist. Da kann keine Stadt mithalten, die Natur ist einfach unschlagbar.
Irgendetwas Besonderes müssen die vom Hang abgerutschten Gesteinsblöcke an sich haben, ansonsten würden die Gehölze diese nicht so innig umklammern.
Kaum erklimmt die Straße den nächsten Pass, ist es selbst mit den robusten Krüppelkoniferen schon wieder vorbei. Zu beiden Seiten der Straße breitet sich eine annähernd geschlossene Schneedecke aus. Wir können von Glück sagen, dass der Asphalt immer ein wenig wärmer ist und dass wenig Niederschlag fällt. So können wir unseren Weg fortsetzen und dennoch die winterliche Landschaft genießen.
In der Ferne sehen wir die geschlossene Wolkendecke über dem nordwestlichen Atlasvorland liegen, die uns erst mit Niederschlägen und anschließend mit Nebelbänken traktierte. Wie schön das von weitem aussieht, wenn man nicht gepiesackt wird. Hoffen wir, dass der Spuk heute Abend vorbei ist.
Eigentlich hatten wir gehofft auf das eine oder andere Bergdörfchen zu treffen, dort einen Tee trinken und irgendeine einfache Speise zu uns nehmen zu können. In diesem Glauben hatten wir auch großzügig auf ein Frühstück auf dem Campingplatz und in der Provinzhauptstadt Azilal verzichtet. Aber nun tut sich gar nichts mehr und wir fürchten langsam, das wird auch bis zum Abend so bleiben.
Heute könnten wir ein Wohnmobil mit gut gefülltem Kühlschrank und ausreichend Gas für die Nacht wirklich gut gebrauchen. Wir hätten hier oben übernachten, ganz gemütlich kochen und am nächsten Tag noch gemütlicher weiterfahren können.
Unsere Zungen werden immer länger, dann endlich wird unsere Bitte erhört. In einem der Tälchen erkennen wir eine größere Ansammlung von Gebäuden, auf die wir nun zielsicher zusteuern.
Zielsicher ist allerdings weniger unseren Fahrkünsten als vielmehr dem Umstand geschuldet, dass es hier nur eine Straße gibt und die führt nun mal von Ort zu Ort, auch wenn diese Ortschaften oft weit auseinander liegen und wenig zu bieten haben. Steil geht es hinunter und in dieser Einöde möchte man keinesfalls eine Reifenpanne oder gar einen Defekt an der Bremse riskieren, also machen wir schön langsamen, lassen den Motor den größten Teil des Bremsens besorgen und erreichen endlich den Ort.
Zu unserem Glück ist Markttag, aber es ist ein sehr kleiner Markt und der orientiert sich in keiner Weise an irgendwelchen Touristen, die sich an wenigen Tagen im Jahr in diese Einöde verirren. Die Händler müssen ja leben und das können sie nur von den Einheimischen. Kleidung, Hygieneartikel, Werkzeuge, auch Essbares, das aber erst noch zubereitet werden muss, dominieren die Marktstände. Da können wir direkt durchlaufen, ohne fündig zu werden. Als wir uns den ersten Häusern nähern, taucht endlich ein Grill auf. Es duftet verführerisch, aber das Werkzeug, mit dem das Fleisch gewendet wird, der Grill selbst und auch der Grillmeister machen nicht den Eindruck als würden unsere europäischen Mägen diesen Test bestehen.
Angelika fühlt sich in dieser Einöde auch angeglotzt wie ein Zirkuspferd, übrigens auch von Frauen. Vielleicht sind es die blonden Haare. Jedenfalls bittet eine Mutter, sie möge doch ihr Kind einmal die Haare anfassen lassen. Diese Gunst gewährt sie auch und verschafft Mutter und Kind einen kurzen Glücksmoment.
Über eine völlig unförmige Treppe erreichen wir kraxelnd der einzige Kaffee im Ort. Natürlich sitzen wieder mal nur Männer drin. Aber es ist nicht besonders voll und so suchen wir uns eine stille Ecke und können von hier aus das Marktgeschehen gut verfolgen. Wir bestellen einen Kaffee und einen Tee, zum Essen organisiert Michael bei einem Lebensmittelhändler jenseits des Dorfbaches 8 Küchlein, die zwar übertrieben süß sind, aber ganz gut schmecken und sättigen und das war es dann auch schon mit unserem Essen bis zum Abend.
Wir würden gerne einmal fragen, wo wir hier eigentlich sind, aber die Einheimischen scheinen uns nicht zu verstehen. Da wir den weiteren Streckenverlauf nicht kennen, brechen wir zeitig wieder auf. Wie sich schon wenig später zeigt, war das eine gute Entscheidung, denn während wir bisher stets Asphalt unter den Rädern hatten, geraten wir nun auf eine Schotterpiste. Da in den Bergen immer einmal Brücken oder ganze Straßenabschnitte von Unwettern weggerissen werden, die Piste auch nicht sonderlich schwer zu befahren ist, denken wir uns zunächst nichts dabei. Schließlich hatte uns unser Campingplatzbetreiber versichert, er sei die Strecke schon einmal abgefahren und die sei komplett asphaltiert.
Wir fahren also Kilometer um Kilometer das Tälchen entlang, eine Alternativroute ist nicht zu erkennen und wähnen uns auf dem rechten Weg. An jeder Biegung glauben wir vor uns Asphalt wiederzuerkennen, klammern uns an jeden Strohhalm, erreichen zwischenzeitlich auch zweimal relativ neu errichtete Brücken, hinter denen einige hundert Meter Asphalt folgen, aber dann ist es schon wieder vorbei und es nimmt und nimmt kein Ende. Wir überlegen auch umzudrehen, schließlich kennen wir den größten Teil des Rückweges und der wäre gut zu bewältigen. Andererseits muss doch jeden Moment das Ende der Piste erreicht sein und landschaftlich soll es doch hier so toll sein, also klammern wir uns an diesen Strohhalm und hoffen der Kelch möge bald an uns vorübergegangen sein. Doch es kommt immer schlimmer.
Tatsächlich wird das Umfeld immer grüner, steil aufsteigende, bewaldete Tafelberge flankieren unseren Weg, unter uns rauscht der Gebirgsbach, schön anzuschauen, solange er uns nicht zu sehr auf die Pelle rückt. Wir passieren ein Seitentälchen in dem der Bach die betonierte Brücke so stark malträtiert hat, dass sich die ganze Armierung in alle Himmelsrichtungen erstreckt, so als wollte sie sich den Naturgewalten ergeben. Selbst im Fahrbahnbereich kommen die Eisen schon aus dem Beton und Michael sieht sich die Wegstrecke erst einmal an, um ja keines dieser rostigen Enden zu erwischen. Das nächste Seitentälchen lässt gar keine Brücke mehr erkennen hier rauscht der Wildbach direkt über den Beton und wir können nur hoffen, dass unser Fahrzeug nicht abgetrieben und die Armierung hier in einem besseren Zustand ist. Ja da schlägt das Herzchen immer etwas schneller, also für einen beschleunigten Puls tun wir heute wirklich alles.
Konnten wir die ganze Zeit noch ganz ordentlich rollen, schalten sich nun zunehmend Schlaglöcher und Spurrillen ein und wir können uns nur noch mit 10 km pro Stunde fortbewegen, um ja keinen Schaden an unserem Fahrzeug zu riskieren. Wir sind schlicht entsetzt, worauf wir uns hier eingelassen haben, diese verdammte Piste will einfach nicht enden.
Die Krönung ist dann ein Prallhang, an dem der Gebirgsbach offensichtlich der einmal vorhandenen Straße das Fundament entzogen hat, sodass diese vollends weggespült und durch lose aufgefüllte und kaum verdichtete Grobkiese ersetzt wurde. Wie auf rohen Eier bewegen wir uns 10 cm über der Wasserlinie und rechnen jeden Moment damit irgendwo aufzusetzen oder im Bach stecken zu bleiben. Der Streckenabschnitt ist zwar nur 150 m lang, aber danach sind wir, mit null 4 x 4-Erfahrung schweißgebadet und müssen uns erst einmal von dem Schreck erholen. Ein Zurück gibt es jetzt jedenfalls nicht mehr, egal, was jetzt noch kommt.
Entweder wurde die Brücke mit Abraum aus dem Gebirge eingeebnet oder man sich die Arbeit, hier eine Brücke zu errichten gleich ganz gespart. Es wäre ja nicht die Erste, die bei Starkregen einfach weggerissen wird. Da ist es günstiger vorhandenen Abraum mit schwerem Gerät talwärts zu schieben, um die Stelle anschließend wieder passieren zu können.
Zeitweise denken wir wirklich, wir schaffen es heute nicht mehr aus den Bergen heraus. Zu unserem großen Glück wird die Piste nun aber wieder besser. Nach mehreren Kilometern Strecke geraten wir dann an eine Baustelle, die ausnahmsweise einmal nicht von lokalen Berbern betrieben wird. Die Jungs des Bautrupps wissen Bescheid und versichern uns, dass wir definitiv auf dem richtigen Weg sind. Kurz danach endet die Piste, wir haben wieder Asphalt unter den Rädern, ist das angenehm! Nie war er so wertvoll wie heute.
Nachdem wir in den letzten 3 Stunden ganze zwei Fahrzeuge gesehen haben, nimmt die Fahrzeugdichte nun auch wieder deutlich zu, das zerstreut letzte Zweifel. Die gut 40 km Piste haben uns tatsächlich zwei zusätzliche Stunden Fahrtzeit beschert und die Zeit ist dementsprechend weit fortgeschritten. Trotzdem atmen wir tief durch und meinen, jetzt ist alles in Butter.
Aber wieder werden wir eines Besseren belehrt. Zunächst setzt Regen ein, die Sicht wird immer schlechter und zu der hereinbrechenden Dämmerung kehrt der Nebel von heute Morgen zurück. Die Sicht wird nun extrem schlecht, schließlich sehen wir keine 20 Meter mehr. Kilometer fressen können wir also gleich wieder vergessen. Schleichfahrt bei offenem Fenster ist angesagt, um herannahende Fahrzeuge ja rechtzeitig zu hören. Wenigstens sind keine Fußgänger oder Esel mehr unterwegs, aber zweimal können wir die Scheinwerfer von herannahenden Fahrzeugen gerade noch rechtzeitig erkennen. Unsere Konzentrationsfähigkeit geht gehen Null, lange darf das so nicht mehr weiter gehen.
Endlich nähern wir uns einem Stausee, die Sonne bricht durch die Nebelbänke und leuchtet die Landschaft noch einmal mit einem allerdings schnell schwächer werdendem Rot aus, bevor es dann endgültig dunkel wird. Auf den letzten 30 km setzte dann noch einmal Regen ein und gegen 19:30 Uhr erreichten wir vollkommen geschafft unseren Campingplatz.
Unser Bedarf an Abenteuern ist für diesen Urlaub mehr als gedeckt. Bei der nächsten Schotterpiste drehen wir sofort um.