WOMO-Reise in die Normandie vom 09.05. bis 18.05.2015
Nachdem wir in den letzten Jahren meist aus winterlichen Gefilden per Flugzeug gen Süden gestartet sind, entschließen wir uns im Mai 2015 einige Tage mit einem gemieteten Wohnmobil durch Mitteleuropa zu reisen. Michael will in erster Linie ein attraktives Ziel ansteuern, muss aber auch die Wetterbedingungen im Auge behalten, denn es stehen lediglich 9 Reisetage zur Verfügung, die optimal genutzt werden sollen. Bei der Suche im Netz wird Michael frühzeitig auf die Normandie und hier im Besonderen auf die Alabasterküste aufmerksam. Je mehr Reiseberichte er liest, umso attraktiver erscheint ihm dieser normannische Winkel Frankreichs. Etwa 8 Tage vor Urlaubsantritt scheinen die Vorhersagen der einschlägigen Wetterhomepages dann ausreichend verlässlich, um sich endgültig auf dieses Reiseziel festzulegen und dem Urlaubsbeginn entgegenzufiebern.
Samstag, 09.05.2015
Gegen 09:00 Uhr sind wir beim Vermieter, um unser Leih-WOMO zu übernehmen. Michael ist bei der Reiseplanung eher Optimist, was ihm nicht immer zum Vorteil gereicht. Dementsprechend denkt er auch, dass das Reisegefährt vielleicht schon um 10:00 Uhr abfahrbereit sei und sieht sich schon am ersten Abend von den Kreideklippen der normannischen Küste einem atemberaubenden Sonnenuntergang beiwohnen. Aber der Zahn wird ihm schnell gezogen. Bis alle Papiere geprüft, der Vertrag unterzeichnet, die Einweisung abgeschlossen und das Mobil reisefertig eingerichtet ist, vergehen zweieinhalb Stunden, was nicht zuletzt Michaels Informationshunger geschuldet ist. Mit der am Ende doch recht üppigen Vorbereitungsliste und der Fülle von Funktionen, die mit dem Betrieb eines WOMOs verbunden sind, ist Michael leicht überfordert.
Aber wie sagte schon unser ehemaliger Bundesfinanzminister Theo Waigel einst sinngemäß. Auch wenn man von einer Sache nicht den geringsten Schimmer hat, sollte man sich nichts anmerken lassen. Davon abgesehen haben wir 9 Tage Zeit, in denen wir uns nach und nach mit dem Mobil vertraut machen können.
Nachdem wir zuletzt noch die Wasser- und Lebensmittelvorräte beim Discounter ergänzt haben, kann unsere Wohnmobilreise gegen 12:00 Uhr endlich losgehen. Angelika hat die Planung nur am Rande verfolgt, kann sich deshalb auch nicht so genau vorstellen, was uns am Ziel erwartet und sieht die Strecke als zu ambitioniert an.
Nachdem die Normandie für den heutigen Tag erst einmal in weite Ferne gerückt ist, hat Michael natürlich auch einen Plan B und der heißt Saarschleife. So wird die erste Etappe nicht zu lange und man kann sich mit den Ausmaßen und dem Fahrverhalten des WOMOs vertraut machen. Nachdem dieser Vorschlag auch Angelikas Zustimmung findet, rollt unser WOMO vom Parkplatz. Michael hat den Weg grob im Kopf, weil er berufsbedingt viel herumkommt. Trotzdem hat er sich nach jahrelanger Verweigerungshaltung vor wenigen Tagen noch schnell entschlossen, ein Navi anzuschaffen. Nicht die intelligenteste Idee, wie sich noch herausstellen sollte. Wenn das Teil jetzt aber schon einmal da ist, muss die neue Technik natürlich auch eingesetzt werden, und sei es nur, um die eigene Kompetenz bestätigen zu lassen. Dummerweise verlangt das Navi bei der Inbetriebnahme eine ganze Reihe von Informationen, aber Michael hat jetzt keine Zeit für einen Multiple-Choice-Test und drückt sekundenschnell alles weg, was nur irgendwie wegzudrücken ist.
Wider Erwarten sind Michael und das Navi danach erst einmal völlig anderer Auffassung, was die Routenplanung angeht. Während Michael zielstrebig am Südrand des Hunsrücks gen Westen fährt, fordert eine zunehmend penetranter erscheinende Stimme ihn immer wieder auf, er solle doch endlich umkehren und in östliche Richtung auf die Autobahn in Richtung Kaiserslautern fahren. Das nervt langsam! Zum Glück kann man der Frau den Ton abdrehen. Irgendwann sind wir dann so weit von jeder Autobahn entfernt, dass die Frau, nennen wir sie mal Frau Garmin einsieht, dass sie verloren hat. Ihre weiteren Vorschläge stimmen nun mit Michaels Vorstellungen weitgehend überein und die beiden sind auf einmal beste Freunde. Tja, Frau muss wissen, wann sie verloren hat.
Auch wenn das Navi zwischenzeitlich immer mal wieder kleine Schlenker macht, die Michael nicht ganz nachvollziehen kann, erreichen wir am frühen Nachmittag nach gemütlicher Fahrt die Saar Schleife. Von einem Parkplatz in Orscholz führt ein Wanderweg zum Aussichtspunkt über dem Fluss. Trotz Vorsaison ist der Aussichtspunkt gut besucht. Zahlreiche Reisebusse tummeln sich auf dem Parkplatz. Von hier oben ist gut zu erkennen, dass sich die eine oder andere Wanderung zum Fluss hinunter, vielleicht auch eine Bootsfahrt lohnen würde. Uns geht es aber nur um einen ersten Eindruck, schließlich haben wir morgen noch eine lange Fahrt vor uns und die möchten wir verkürzen, indem wir heute noch etwas weiter in Richtung unseres eigentlichen Zieles fahren. Für eine kleine Stärkung in einer nahe gelegenen Erlebnisbrauerei reicht die Zeit aber noch aus. Nicht, dass wir vom Fleisch fallen.
Da Schengen auf dem Weg liegt, bietet sich ein erster Tankstopp an. Wir sparen am Ende 7 ct pro Liter, haben aber erst 20 Liter verbraucht, also ein Schuss in den Ofen. Andererseits wissen wir auch nicht, wie hoch die Kraftstoffpreise in Frankreich sein werden und fühlen uns mit vollem Tank nun gut gerüstet.
Weiter geht es durch Luxemburg und den südlichen Zipfel von Belgien in die französische Provinz, wo wir am frühen Abend in dem Städtchen Stenay unseren ersten Stellplatz beziehen. Der idyllisch am Flüsschen Meuse jenseits des Bootsanlegers gelegene Platz kostet 8 €, bietet Strom, V+E, warme Duschen und ordentliche Toiletten und wir sind rundherum zufrieden mit unserer ersten Wahl. Ein wenig zu kämpfen haben wir mit dem Zugangscode, ein Verfahren, das wir so bisher nicht kannten. Doch hier hilft uns ein erfahrener Wohnmobilist. Am Abend noch ein gemütlicher Rundgang entlang des Hafenbeckens, dann geht es mangels Glotze früher als gewohnt ins Bett.
Sonntag, 10.05.2015
Das ist wieder einmal typisch. Da könnten wir endlich einmal ausschlafen und dann sind wir um 07:00 Uhr wach. Und trotzdem können wir uns nicht beklagen, denn obwohl unser Bett nur 1,30 breit ist, haben wir überraschend gut geschlafen. Außerdem verirrt sich um diese Zeit niemand in die Dusche, schön warm ist die auch noch und so starten wir topfit in den Tag. Beim nahe gelegenen Bäcker besorgt Michael Baguette und Buttercroissants. Ein Gedicht! Wenn wir schon so früh wach sind, möchte Michael auch möglichst früh aufbrechen, weil heute die längste Etappe unserer kleinen Tour de France ansteht. Aber bis alles Geschirr gesäubert und wieder ordentlich verstaut ist, zeigt die Uhr schon halb zehn. Jetzt aber los! Durch die rollenden Hügel des Ardennenvorlandes geht es gemächlich gen Westen. Man munkelt, die Franzosen bestrafen schon kleinste Geschwindigkeitsübertretungen recht heftig, also sehen wir in den vielen Dörfchen, die zu passieren sind, zu, dass die Tachonadel immer hübsch unter der 50 oder unter der 30 bleibt.
Zu beiden Seiten der Straße tauchen immer wieder große Rapsfelder auf, deren leuchtendes Gelb mit dem Grün der umliegenden Felder und Wäldchen und dem Blau des Himmels zu einem Gesamtkunstwerk verschmelzen. Wie schön Europa doch ist. Zwischendurch spielt uns das Navi immer wieder einen Streich, leitet uns von der D 947 auf schmale Nebenstraßen um, die später dann doch wieder auf die Hauptstraße zurückkehren. Vermutlich sind die Nebenstrecken einige wenige Kilometer kürzer, dass man dafür aber dann langsamer fahren muss und das eine oder andere Schlagloch mitnimmt, interessiert Frau Garmin nicht. Am späten Morgen treffen wir auf einen geöffneten Carrefour-Markt und decken uns mit Frischware ein. Wenig später biegen wir auf eine Nebenstraße ab, parken an einem Waldweg und rasten.
Gegen 13:00 Uhr erreichen wir die Stadt Soissons, jetzt wird es mit dem Fahren etwas einfacher und wir kommen schneller voran. Auf dem Land funktioniert das Navi nun besser, aber innerhalb der Städtchen fahren wir erneut seltsame Wege. In Rouen wieder das gleiche Spiel. Unser Navi führt uns durch Straßen, die schon länger keine Fahrzeuge mehr gesehen haben und die man nachts nicht unbedingt durchfahren möchte. Wir sind manchmal richtig erstaunt, als wir in die Zivilisation zurückkehren. Besonders lustig ist es im Kreisverkehr. Da empfiehlt uns Frau Garmin verbal mehrfach die dritte Ausfahrt zu nehmen, obwohl die gleichzeitig eingeblendete Landkarte die zweite Ausfahrt anzeigt, zumal wir ja auch geradeaus weiterfahren müssen. Gerne wird uns auch mal empfohlen, die fünfte Ausfahrt zu nehmen, obwohl der Kreisel nur 3 Ausfahrten hat. Anfangs bringt uns das immer wieder in die Bredouille und wir müssen den Kreisel dann jeweils zweifach umrunden, was bei unseren französischen Freunden im günstigen Fall leichtes Stirnrunzeln verursacht. Über die ungünstigen Fälle hängen wir an dieser Stelle einmal das Mäntelchen des Schweigens. Angelika, sowieso immer etwas besorgt, sieht uns bereits auf Kollisionskurs. Da die Strecke aber auch auf der Karte angezeigt wird, wirft Michael nun vor jedem Kreisel einen Blick auf den Bildschirm, dann kann die Garmin-Tante erzählen, was sie will, wir wissen es besser und lachen nur noch über die absurden Vorschläge in puncto Kreisverkehr.
Gegen 17:15 Uhr ist es endlich geschafft. Wir biegen auf den Stellplatz im Hafen von Honfleur ein und strecken erst einmal alle Viere von uns. Der Stellplatz ist relativ voll. Trotzdem haben wir Glück. Wie wir von anderen Reisenden erfahren, war der Platz wegen des freitäglichen Feiertags (8. Mai) am Wochenende komplett überfüllt und leert sich erst jetzt allmählich, weil viele Franzosen am Montag wieder arbeiten müssen. Der mit teils löchrigem Asphalt versiegelte Stellplatz, ist nicht gerade ein Ausbund an Schönheit, aber er liegt stadtnah und erfüllt seinen Zweck. Wir können Frischwasser aufnehmen und das Grauwasser ablassen. Nachdem wir in den einschlägigen Publikationen vieler Homepages schon so viel über Honfleur gelesen haben, zieht es uns rasch in die Stadt südlich der Seine-Mündung. Unser erster Anlaufpunkt ist das mit zahlreichen Jachten gefüllte Hafenbecken. In dessen Umfeld hat sich eine stattliche Zahl von Restaurants etabliert. Obwohl uns die Preise nicht eben günstig erscheinen, sind die „Schuppen“ immer noch gut gefüllt. Meeresfrüchte in allen Variationen werden in großen Mengen verspeist. Man geniest die Aussicht auf das Hafenbecken und das malerische Stadtbild und lässt sich von den letzten Strahlen der tief stehenden Sonne bräunen.
Nachdem unsere Neugierde erst einmal gestillt ist, lassen auch wir uns auf einer der vielen bestuhlten Kopfsteinpflasterflächen am Rande des Hafenbeckens nieder und gönnen uns einen Drink. Den anschließenden Toilettengang hätte sich Michael allerdings sparen sollen, der verdarb dann doch etwas das positive Gesamtbild. Es ist immer wieder erschreckend, wie viel Aufwand bei der Zubereitung und Präsentation der Speisen betrieben wird, um diese im besten Licht erscheinen zu lassen, während man gleichzeitig auf dem stillen Örtchen Keimen aller Art Tür und Tor öffnet.
Gegen 21:00 Uhr treten wir den Rückweg zu unserem rollenden Heim an, das Pflaster hat uns geschafft, wir fallen ins Bett und schlafen wie die Murmeltiere.
Montag, 11.05.2015
Auch wenn der Weg zum Bäcker dieses Mal nicht eben kurz ist, macht sich Michael am Morgen gleich wieder auf den Weg, um Baguette und Brioche einzukaufen. In den Zufahrtsstraßen zur Altstadt ist nun deutlich mehr Verkehr, aber die vielen Restaurants haben natürlich noch geschlossen. Überall liegen Plastiktüten mit Bergen an ausgelutschten und abgenagten Meeresfrüchten, die jetzt nach und nach von der Müllabfuhr eingesammelt werden. Die verschmutzten Straßen werden mit Wasserschläuchen abgespritzt, Tische und Stühle für die spätestens am Mittag erwarteten Gäste gesäubert. Als Michael zum Stellplatz zurückkommt, sitzen erste Wohnmobilisten schon wieder in den Campingstühlen und lassen sich bräunen. Wenn hier alles grün wäre, könnte man das ja noch verstehen, aber Campinggefühl mag sich angesichts dieses öden Platzes bei uns nicht einzustellen.
Nach dem Frühstück gehen wir zusammen ins Städtchen. Und schon sind die ersten Restaurants wieder geöffnet. Doch dafür haben wir jetzt keinen Sinn. Wir schlendern durch die engen Gassen und Plätze und erfreuen uns an den malerischen Fachwerkbauten. In einigen Straßen trifft man auf kleine Galerien und natürlich findet man, verteilt über die gesamte Altstadt auch eine Fülle von Delikatessenläden.
Auch wenn der Cidre hier vermutlich etwas teurer als auf dem flachen Land ist, schlagen wir zu. Denn uns fehlt einfach die Zeit, um uns hier gründlich umzuschauen. Calvados, der zweite Exportschlager der Normandie, ist nicht unsere Sache, das müsste dann schon ein Likör sein. In einem Nugatladen kann Angelika nicht widerstehen, beim Preis wird ihr allerdings leicht schwindelig. Michael wollte eigentlich noch einen Abstecher nach Deauville, dem mondänen Badeort machen. Angelika zieht es dagegen in das geringfügig näher gelegene Trouville-sur-Mer. Also fahren wir am frühen Nachmittag dort hin und heben uns den mondänen Badeort für den nächsten Besuch auf.
Nach einigem Rumgegurke finden wir irgendwo am Hafen einen Parkplatz, der uns ausreichend sicher erscheint und schlendern am Hafenbecken entlang Richtung Strand. Wir sind überrascht, auf Sand zu treffen, weil viele Küstenabschnitte von einer Unzahl der allgegenwärtigen Feuersteingerölle bedeckt sind. Angelika zieht Schuhe und Strümpfe aus und möchte das kühle Nass genießen. Das ist dann aber so kühl, dass sie gleich einige Schreie loslässt und zunächst mal den Rückzug ins Trockene antritt.
Einige Strandabschnitte sind übersät mit Überresten der Schwertförmigen Scheidenmuschel (Ensis). Aus leidvoller Erfahrung weiß Michael, dass die Schalen messerscharf sein können. Also schnell die Schuhe wieder angezogen.
So ein 200 m langer Spaziergang am Strand lässt natürlich auch erste Hungergefühle aufkommen. Also orientieren wir uns in Richtung Fischmarkt und lassen uns eine Fischsuppe und Schalentiere munden. Dazu ein Weißwein, ein wenig herb, aber passend.
Obwohl wir bis jetzt keine schlechten Erfahrungen mit überfüllten Stellplätzen gemacht haben, sind wir immer noch ein wenig vorsichtig und versuchen nicht erst am späten Abend unser nächstes Nachtquartier zu erreichen. Also brechen wir auf nach Étretat, wo wir gegen 17:15 Uhr den kommunalen Stellplatz erreichen.
Vor Ort befinden sich ein Campingplatz mit allem Komfort und ein Stellplatz. Zwischen beiden steht das Gebäude mit den Sanitäranlagen, sodass wir nur die Einfahrt zum Stellplatz wahrnehmen und nicht erkennen, dass die Plätze streng voneinander separiert sind. Unmittelbar vor uns fährt ein WOMO auf den Platz, muss hierzu aber an einer Schranke kurz hinter der Einfahrt stoppen, sodass wir nun mitten auf der Straße stehen und den Verkehr blockieren. Nachdem unser Vordermann auch noch etwas länger braucht, sitzen wir etwas auf heißen Kohlen und sind froh, als wir die Straße endlich freimachen und in die Einmündung einfahren können.
Mit unserer fehlenden Erfahrung kapieren wir aber noch viel weniger, wie die Sache mit dem Automaten funktioniert und so beschließt Michael, zumal der Poller, der die Einfahrt normalerweise blockiert noch unten ist, erst einmal auf den Platz zu fahren und die Formalitäten danach zu erledigen.
Nachdem wir uns den Stellplatz kurz angesehen und festgestellt haben, dass wir weder Strom noch sanitäre Einrichtungen haben, beschließen wir gleich wieder den Platz zu verlassen und uns drüben ein schönes Plätzchen auf dem Campingplatz zu suchen. Das geht jetzt aber nicht mehr, da der Poller inzwischen hochgefahren ist und die Ausfahrt versperrt. Doch der kluge Mann weiß Rat. Wir begeben uns an den Automaten und betätigen die Tickettaste. Doch der denkt überhaupt nicht daran, uns ein Ticket auszuspucken. Was soll das denn nun?
Vom Patron können wir keine Hilfe erwarten, der ist längst zu Hause. Also stehen wir ratlos vor dem Automaten und versuchen ein ums andere Mal diesen zu überlisten. Doch wie sehr wir uns auch bemühen, nichts tut sich in Sachen Ticket. Schließlich erbarmt sich einer der Stellplatzbesucher und gibt uns zu verstehen, dass der Automat mithilfe eines Sensors erkennt, ob ein Fahrzeug vor ihm steht und nur in diesem Fall gibt er ein Ticket aus. Das soll Missbrauch vorbeugen. Na toll! Da sind wir jetzt also auf dem Platz gefangen und haben bis morgen 09:00 Uhr keine Chance mehr, hier herauszukommen. Wie blöde ist das denn?
Dienstag, 12.05.2015
Natürlich ist Michael schon um 06:30 Uhr wach und schon nach dem Aufstehen genervt, dass er noch zwei Stunden auf den Patron warten soll, bis der ihn endlich ziehen lässt. Zur Strafe versucht er sich den Zugangscode zu den sanitären Einrichtungen drüben auf dem CP zu besorgen. Dabei steht ihm eine leicht desorientierte, ältere englische Touristin hilfreich zur Seite, der es partout nicht gelingen will, den Code richtig einzugeben. Eilfertig Hilfsbereitschaft heuchelnd nähert sich Michael der Dame, um mit der gebotenen Ruhe und dem von ihr übermittelten Code ihr Problem und damit auch das seine zu lösen. Auf dem Weg zu den sanitären Einrichtungen stellte Michael nebenbei fest, dass der Poller im Einfahrtsbereich heute Morgen auf einmal heruntergefahren und die Ampelanlage grün geschaltet ist. Wird wohl gerade ein WOMO rausgefahren sein und der Poller kommt gleich wieder hoch, denkt sich Michael. Auf dem Rückweg vom Sanitärbereich zum SP ist der Poller aber immer noch unten. Das ist jetzt schon etwas seltsam, da könnte man fast versucht sein …...
Aber Michael wirft den kühnen Plan gleich wieder über Bord. Bei unserem aktuellen Chaos im WOMO ist an eine schnelle Flucht nicht zu denken. Doch zu Michaels Überraschung hat Angelika das WOMO inzwischen bereits reisefertig gemacht. Und so nähern wir uns, gerade am WOMO angekommen, bereits der Schranke. Da in der Ausfahrt Schaltschleifen verbaut sein könnten, fährt Michael erst einmal bis an den Poller ran und prüft, ob der Poller nicht in letzter Sekunde zumacht. Nachdem eine ganze Weile nichts passiert, gibt Michael Gas und befördert das WOMO in einem Rutsch nach draußen. Wir erklären der Reinemachefrau, die günstigerweise gerade im Einfahrtsbereich des Campingplatzes für Ordnung sorgt, kurz unser Problem, drücken ihr die 8 € für die Übernachtung in die Hand und verlassen den ungastlichen Ort. Dem Gesichtsausdruck nach dürfte die gute Frau von Michaels gestenreichem Redeschwall so gut wie nichts verstanden haben. Wir können nur hoffen, dass die 8 € den Patron erreicht haben.
In Étretat wird das Frühstück besorgt und dann geht es in südwestliche Richtung aus dem Ort raus, wo wir einen schönen Frühstücksplatz zu finden hoffen. Die Sache gestaltet sich wieder einmal etwas schwieriger als angenommen, erst als wir schon aufgeben wollen, finden wir oberhalb des kleinen Ölhafens Port d'Antifer einen kostenlosen Stellplatz an der Kreuzung D 111 und D 111e.
Ein Ölhafen interessiert den gemeinen Touristen eher weniger, aber wenn wir schon mal da sind, können wir ja auch mal das kurze Stück nach unten fahren und schauen, ob es dort etwas zu sehen gibt. Tatsächlich treffen wir unterhalb der Klippen auf einen weiteren WOMO-Stellplatz. Vermutlich ist auch der kostenlos, aber das überprüfen wir nicht, sondern bewegen uns direkt Richtung Meer.
Die Küstenlinie ist überwiegend von groben Geröllen bedeckt, aber es sind auch sandige Abschnitte dabei. Der Strand ist zumindest im Mai wenig frequentiert, scheint aber gerne von Wassersportlern und Anglern genutzt zu werden. Das nordöstliche Ende des Tals oberhalb der Großtanks sehen wir uns nicht an, aber in Richtung Südwesten kann man kilometerweit die Küste entlang laufen. Zwar ist die Küstenlinie zunächst wenig aufregend, wer sich allerdings zu einem längeren Spaziergang entschließt, der wird auch auf spektakulärere Abschnitte treffen, in denen die Wellen tosend zwischen groben Felsblöcken einschlagen, dabei die Gichtkronen in feinste Sprühnebel zerlegen und der ganzen Küstenlinie einen hauchdünnen Feuchteanstrich verleihen. Entlang dieses Küstenabschnitts kann man auch auf Fossiliensuche gehen, dafür sind wir heute jedoch nicht ausgerüstet.
Für einen möglichst großen Aktionsradius im Auf und Ab der Gezeiten sollte man Gummistiefel anziehen. Auch wenn das auf den groben Geröllen anstrengend werden kann, sorgt dies für trockene und warme Füße und ebnet den Weg für so manche aufregende Fotostrecke.
Anders als der Gezeitenbereich sind die Klippen wenig beeindruckend. Verglichen mit dem, was wir in Étretat oder LeTréport noch sehen werden, ist das hier kaum der Rede wert. Strandläufer, die die Ruhe und Abgeschiedenheit vorziehen, werden sich hier aber deutlich wohler fühlen. Das Wetter macht uns heute ein wenig Kopfzerbrechen. Am Morgen schien die Wolkendecke aufzureißen, um sich kurz darauf gleich wieder zu schließen. Dann nahmen die hellgrauen Wolken immer dunklere Farben an und es tröpfelte leicht. Als wir den Ölhafen verlassen, reißt die Wolkendecke schließlich wieder auf. Und so heißt es die ganze Zeit, Windjacke anziehen, Windjacke ausziehen, wieder anziehen, wieder ausziehen und wir sind am Ende froh, endlich unser wohltemperiertes rollendes Heim zu erreichen, um die Füße hochzulegen und einfach nur ein wenig zu gammeln. Das tut gut.
So gegen 10:30 Uhr geht es zurück nach Étretat. Das Städtchen liegt in einer der wenigen Talöffnungen entlang der gut 100 km langen Steilküste zwischen Dieppe und Le Havre. Da wir schon wissen, dass unten im Städtchen an Parken nicht zu denken ist, stellen wir das WOMO auf einem großen Pkw-Parkplatz mit 270 Stellplätzen, wenige hundert Meter südwestlich und oberhalb Étretat ab (vgl. hierzu auch das nachfolgende Kärtchen). Drei Euro blechen wir für den ganzen Tag, die örtlichen Raubritter sind fast schon bescheiden.
Étretat hat gerade mal 1.500 Einwohner. Bei 270 Stellplätzen, dem örtlichen Stell- und Campingplatz, zusätzlichen Plätzen in der näheren Umgebung, vereinzelten Hotels und Tagestouristen dürfte der Ort an Hochsommertagen diese Zahl mehr als verdoppeln. Das ist ganz schön heftig, doch außer Tourismus läuft hier relativ wenig, also hat man sich über die Jahrzehnte mit dem Unvermeidlichen arrangiert.
Nachdem wir unser WOMO sicher abgestellt haben, machen wir uns auf den Weg ins Städtchen, wo wir uns jedoch nicht lange aufhalten, sondern direkt in Richtung Strand bewegen.
Haben wir einen Dusel. Der Himmel ist inzwischen komplett aufgerissen und die Sonne strahlt, außerdem haben wir gerade Ebbe. Der Tidenhub ist wie überall im Ärmelkanal beträchtlich, macht sich aber auch deshalb so deutlich bemerkbar, weil die Küstenlinie flach ausläuft. Bei Ebbe kann man küstenparallel sehr schön den vom Menschen gemachten, langweiligen, sterilen Strand mit dem naturbelassenen Küstenabschnitt vergleichen. Auf der einen Seite grau, in Grau, lieblos vor die Kaimauer geklatschte Feuersteingeröllansammlungen. Auf der anderen Seite die alabasterfarbenen, kavernös ausgebildeten Kreidefelsoberflächen mit Ansiedlungen von Seepocken und Miesmuscheln sowie braunen und grünen Algen, durchzogen von schmalen, wassererfüllten Kanälchen und Rinnen, in denen sich Meeresgetier tummelt. Michael kann sich überhaupt nicht sattsehen und findet so viele Fotomotive, dass er das eigentliche Ziel unserer Begierde, die Felsvorsprünge fast aus den Augen verliert. Wie fade hätte die Küstenlinie ausgesehen, wären wir per Zufall bei Flut hier angekommen.
Schließlich nähern wir uns auf dem glitschigen Terrain aber doch dem ersten Felsvorsprung, der Falaises d’Aval, die sich wie eine überdimensionierte Mauer vor uns aufbaut. Schon scheint unsere Wanderung beendet, doch dann öffnet sich in Richtung der Felswand eine große Kaverne, deren Sohlfläche mit recht großen Feuersteingeröllen angefüllt ist. Am Ende dieser Geröllansammlung erklimmen wir eine steile, verrostete Leiter mit etwas schmierigem Geländer und erreichen einen Felsvorsprung. Oben heißt es erst einmal die Hände abputzen, dann geht es weiter in Richtung eines Tunnels.
Im Tunnel ist es kurz stockdunkel, an eine Taschenlampe haben wir leider nicht gedacht. Immerhin vermag der Blitz unserer Kamera für Sekundenbruchteile Licht ins Dunkel zu bringen. Im Tunnel ist gut zu erkennen, dass die Feuersteine stets in Lagen konzentriert auftreten und nicht wahllos über den gesamten Kreidefels verteilt sind.
Kaum haben wir den Tunnel verlassen, stehen wir vor der ca. 55 m hohen Felsnadel L'Aiguille. Die Sonne schön warm, ein laues Lüftchen um unsere Köpfe, dazu das blaugrüne Meer, einfach herrlich. Jetzt noch eine Decke und Sandstrand? Lieber nicht, dann würde es hier vor Sonnenanbetern nur so wimmeln und aus wäre es mit der Ruhe.
Die Kreideablagerungen entlang der französischen Kanalküste entstanden in der Oberkreide (vor ca. 100 bis 65 Mio. Jahren), sind also nach geologischen Maßstäben noch relativ jung. Sie bestehen im Wesentlichen aus weißer Kreide und, wie in den zahlreichen Aufnahmen gut zu erkennen ist, aus schichtweise eingeschalteten Feuersteinlagen. Die Feuersteine sind deutlich verwitterungsresistenter als die Kreideablagerungen. Im Einflussbereich der Gezeiten werden sie vom Meerwasser aus dem Kreidefels herauspräpariert. In den höheren Abschnitten der Klippen ist diese Arbeit insbesondere Frostwechseltagen und Niederschlagsereignissen vorbehalten. Bei Gesteinsabbrüchen werden Feuersteine durch den Aufprall am Fuße der Klippen freigesetzt.
Die so freigelegten Feuersteine werden dann von der Meeresbrandung fortlaufend bearbeitet, bis sie eine idealisierte Kugel- bis Eiform annehmen, die der Brandung am wenigsten Widerstand entgegensetzt. Die hohe Verwitterungsresistenz der Feuersteine führt zu immer größeren Gesteinsakkumulationen, welche schließlich die an der Alabasterküste weitverbreiteten charakteristischen Kiesstrände aufbauen.
Vertraut man der einschlägigen Literatur, so findet man die höchsten Kreideklippen bei Fécamp, etwa 15 km nördlich Étretat. Diese sollen bis 105 m Höhe erreichen. Die Falaises d’Aval südwestlich von Étretat soll immerhin noch 75 m hoch, die östlich gelegenen Falaises d’Amont 84 m hoch sein. Bei den drei markanten Felsbögen Porte d'Amont, Porte d'Aval und Manneporte soll ein küstenparalleler Fluss Schöpfer dieser malerischen Felsbögen gewesen sein.
Beim Blick zurück ist der Strand unmittelbar vor der Felsnadel relativ öde. Überdeckt von Feuersteingeröllen scheint es, als sei auch dieser Abschnitt von Menschenhand geformt. Wendet man den Blick aber nach Südwesten, dann entfernt sich die Wasserlinie bei Ebbe wieder deutlich von der Steilküste und gibt erneut die mit Algen gespickte Kreidefelsoberfläche frei.
Schon nähern wir uns dem Felsbogen La Manneporte. Mit dem Foto im Anschlag muss Michael auf dem glitschigen Terrain einige Umwege machen, um trockenen Fußes und unbeschadet unter den mächtigen Bogen zu gelangen, der gewissermaßen einen zweiten Tunnel bildet. Angelika hält Distanz, ihr ist dieser fragwürdige Untergrund von Anfang an nicht geheuer.
Über den Köpfen der Besucher wölbt sich der Felsbogen beeindruckend in die See. Am südlichen Ende des Bogens führt eine weitere Leiter auf die nächste Geröllfläche. Die anrückende Flut verhindert jedoch, dass wir unseren Weg fortsetzen. Schließlich möchten wir trockenen Fußes nach Étretat zurückkommen. Der Weg zurück zum Feuersteingeröllstrand gestaltet sich fast noch mühsamer als der Aufstieg. Angelika meint, man müsste halt mal die Fotoausrüstung wegpacken, um die Hände freizuhaben, aber es lauert ja an jeder Ecke ein neues Motiv und das ständige Ein- und Auspacken ist dann doch zu mühsam. Nach ein paar Umwegen ist es endlich geschafft. Obwohl wir denselben Weg gekommen sind, den wir nun zurücklaufen, gibt es einiges zu sehen, was uns bisher nicht aufgefallen ist. Und so brauchen wir fast eine Stunde, bis wir die unsteten und wackeligen Geröllfelder verlassen können und wieder festen Asphalt unter die Füße bekommen.
Nachdem wir unten, soweit es die herannahende Flut zuließ, jeden Winkel erkundet haben, geht es von Étretat aus zwischen Golfplatz und Felsabbruchkante in westliche Richtung hinauf auf die Klippen. Es braucht wenig Fantasie, sich vorzustellen, dass dort oben einige herrliche Aussichtspunkte auf uns warten.
Bei dem schönen Wetter sind wir Teil einer kleinen Völkerwanderung. Um uns herum ein Stimmenwirrwarr europäischer Sprachen. Überwiegend sind es Individualtouristen, die den Weg hierher gefunden haben, aber auch einige Schulklassen sind dabei. Trotz des kühlenden Windes treibt einem die Sonne während des Anstiegs den Schweiß auf die Stirn, deshalb wird immer wieder mal gemault ob des anstrengenden Weges. Letzten Endes will aber keiner etwas verpassen und so geht es dann doch immer weiter, bis endlich die grüne Kammlinie erreicht ist.
Nach einer kurzen Rast geht der eben noch mühsame Anstieg in einen gemütlichen Spaziergang über. Sonneneinstrahlung und kühle Meeresbrise erreichen nun ein harmonisches, wohltemperiertes Nebeneinander und machen den weiteren Erkundungstrip hoch über dem Meer zu einem wahren Vergnügen. Die zu den Felsvorsprüngen führenden Pfade sind ausgetrampelt. Überall dort, wo der gemeine Besucher seinen Fuß glaubt, hinsetzten zu müssen, Michael immer ganz vorn dabei, versteht sich, ist der Grasteppich einem staubigen Trampelpfad gewichen. Weil die Höhenrücken der in das Meer hineinragenden Felsvorsprünge allerdings nur wenige Meter breit sind und danach zu beiden Seiten relativ steil abfallen, halten sich die Erosionsschäden in Grenzen und geben Gräsern und einem aufgelockerten Besatz uns unbekannter gelber Blumen und Sträucher genügend Raum, um bestehen zu können.
Während Angelika es sich auf einem grünen Flecken gemütlich macht, folgt Michael den sich in alle Richtungen des Klippenvorsprungs ausbreitenden Trampelpfaden. An jeder Ecke eröffnen sich neue, atemberaubende Ausblicke. Kleine Holzbrücken erschließen letzte Winkel und lassen das Fotografenherz höherschlagen. Auch wenn die Deckfläche der Klippen etwas gelitten hat, haben die Franzosen bisher der Versuchung widerstanden, sämtliche Gefahrenpunkte mit Geländern abzusichern, Dutzende von Verbotsschildern aufzustellen, Promenaden anzulegen und damit der Landschaft ihre Ursprünglichkeit zu nehmen. Michael gefällt das und er hofft, dass sich die Besucherzahlen auch zukünftig in einer Größenordnung bewegen, die es zulassen, das derzeitige Reglement beizubehalten.
Als wir am Nachmittag wieder unser rollendes Heim erreichen, sind wir platt. Die Gerölle, die glitschigen Felsen, das Auf und Ab in den Klippen, das Kraxeln in unwegsamem Gelände, die vielen Umwege für die beste Bildposition haben uns restlos geschafft. Vom Navi lassen wir uns nach Yport lotsen zu einem terrassierten Campingplatz unmittelbar über dem Städtchen. Nun heißt es Parkposition einnehmen und die Füße hochlegen.
Der idyllisch gelegene Platz mit herrlicher Aussicht auf das Meer ist mit 16,80 € nicht gerade billig, bietet aber Strom, V+E, warme Duschen und ordentliche Toiletten. Für die wenigen Tage wollen wir nicht noch an der Unterkunft sparen, zumal wir nicht gerade das größte WOMO angemietet haben.
Am Abend haben wir uns erholt. Also entschließen wir uns, nach Yport hinunterzulaufen. Weit ist es nicht, aber steil und das bekommen unsere strapazierten Bänder gleich wieder zu spüren. Wie zu erwarten, ist in Yport um diese Zeit nichts mehr los. Aber die Sonne zeigt sich heute von ihrer schönsten Seite. Während sie oft genug zu später Stunde hinter Dunst- und Nebelschleiern verschwindet, bleibt der Himmel heute bis zuletzt klar und so taucht das Himmelsgestirn die ganze Umgebung in eine orangerote Tinte. So haben wir es gern.
Mittwoch, 13.05.2015
Als Michael gegen 08:00 Uhr aufsteht, ist es noch etwas kühl, aber der blaue Himmel verheißt einen weiteren schönen Tag. Angeblich soll hier am Morgen ein Bäcker vorbeikommen, aber von einem Bäcker ist weit und breit nichts zu sehen. Mangels Lieferservice geht es nach dem Duschen gleich hinunter nach Yport zur Boulangerie. Baguette und Rosinenschnecken müssen einfach sein. Angelika hat unterdessen im WOMO klar Schiff gemacht und unsere minimalistische Campingausrüstung aufgebaut. Schon kann vor traumhafter Kulisse gefrühstückt werden. Wir putzen doch tatsächlich das komplette Baguette und die Rosinenschnecken weg. Danach sind die Bäuche so richtig schön prall, die Sonne vertreibt die morgendliche Kühle und uns ist einfach nur noch nach Gammeln zumute.
Zwischendurch ist Abwasch angesagt. Zwei Messer, zwei Teller, zwei Tassen, der Kaffeefilter nicht zu vergessen, das ist heute Männersache. Und schon ist Michael unten an den Sanitäreinrichtungen, um dem Geschirr neuen Glanz zu verleihen. Abwasch bei dieser tollen Aussicht, kein Auftrag!
Bei dem Wetter könnten wir das hier einige Zeit aushalten. Leider werden wir uns nur zwei Tage genehmigen können. Unser Platznachbar dagegen ist Rentner und schon eine Woche hier! Neid macht sich breit!
So gegen 11:00 Uhr berappeln wir uns und brechen in Richtung Étretat auf. Da wir gestern nur die Klippen südwestlich des Städtchens ansehen konnten, steht heute die nordöstliche Seite auf dem Programm. Dort konnten wir gestern aus der Ferne eine kleine Kapelle mit einem Parkplatz ausmachen. Da wollen wir heute unser WOMO abstellen, um an den Klippen entlangzuwandern. Auf diese Weise entfiele auch der schweißtreibende Anstieg aus dem Städtchen und wir hätten unser rollendes Heim immer schön im Blick.
Auf dem Weg von Yport nach Étretat beschreibt die D 211 oberhalb des Dörfchens Vaucottes eine Schleife, an der man einen schönen Ausblick auf den vorgelagerten Strand hat. Leider sind WOMO`s wieder einmal ausgesperrt und so lassen wir Vaucottes einfach rechts liegen. Dafür erdreiste ich mich mangels Parkbucht mitten auf der Straße stehenzubleiben, um ein paar Fotos zu machen, was bei Angelika schon wieder leichte Herzrhythmusstörungen auslöst. Völlig unnötig, in dieser abgelegenen Gegend. Zwar tauchen tatsächlich zwei einheimische Fahrzeuge auf, aber die kennen die verrückten Touristen und scheinen darauf, eingestellt zu sein. Wenige Kilometer weiter erreichen wir bereits die Ausläufer von Étretat. Wir suchen nach der Zufahrt zur Kapelle, können sie jedoch nicht finden und vermuten, vorbeigefahren zu sein. Also drehen wir, was mit dem nur 6 m langen WOMO einfacher ist als vermutet und sehen unseren Verdacht bestätigt. Die Zufahrt ist bestens kenntlich gemacht durch ein Verbotsschild für WOMOs. Das kann Michael jetzt überhaupt nicht nachvollziehen, weil er meinte, dort oben gestern Busse gesehen zu haben. Aber es nutzt nichts, wir brauchen einen Plan B. Als Abstellplatz für unser Gefährt finden wir einen Parkplatz an einem Bahnhofsgebäude. Züge sind keine zu sehen. Vielleicht war die Nebenstrecke wie so viele bei uns zu Hause einfach nicht mehr rentabel.
Die Kapelle vermuten wir in 2 bis 3 km Entfernung, das sollte machbar sein. Da es inzwischen bullig warm ist, nehmen wir nur die Wertsachen aus dem Fahrzeug und kleiden uns entsprechend den Temperaturen. Ein schwerwiegender Fehler, wie sich in den nächsten Tagen herausstellen sollte, aber davon ahnen wir jetzt noch nichts.
Etwas überrascht stellen wir nach etwa einem Kilometer Fußmarsch fest, dass die Kapelle vor uns auftaucht. Das war nun wirklich keine Anstrengung, zumal der Weg an einigen schönen Anwesen vorbeiführte und die Wanderung so zu einem kurzweiligen Vergnügen machte. Vom „Kapellenberg“ hat man erneut eine schöne Aussicht auf Étretat und natürlich auch hinaus aufs Meer.
Nachdem wir die ganze Zeit unter Baumkronen durch windgeschütztes Areal gegangen sind, pfeift am Klippenrand auf einmal ein ganz schön kühles Lüftchen und lässt uns unsere Windjacken jetzt schmerzlich vermissen. Noch einmal zum Fahrzeug zurücklaufen, kommt aber nicht infrage. Wir hoffen einfach, dass der dichte Wolkenteppich, der die Sonne aussperrt, sich in absehbarer Zeit auflöst und solange müssen wir halt die Zähne zusammenzubeißen. Gestern hat es ja auch geklappt.
Vom „Kapellenberg“ schweift unser Blick nach Nordosten über die grasbewachsene Ebene jenseits der Abbruchkante. Kilometerweit schmiegt sich der Wanderweg an den Klippenkamm, irgendwann nur noch markiert durch vereinzelte Wanderer, deren Silhouetten in der Ferne mit dem Horizont zu verschmelzen scheinen.
Wieder hat das ablaufende Meerwasser den flach auslaufenden Felssockel am Fuß der Klippen freigelegt. Das blaugrüne Meer, die braunen Algenteppiche im Tidenbereich, der beigefarbene Fels und die dunkelgrüne Grasmattenüberdeckung im Zusammenspiel - einfach grandios. Auch östlich Ètretat sind die Klippen so vielgestaltig geformt, dass man glauben könnte, an jedem Aussichtspunkt erhalte man völlig neue Einsichten. Deshalb wird auch heute wieder jeder Vorsprung in Augenschein genommen, um ja nicht die beste Fotoposition zu verpassen. Die Klippen erscheinen immer dann besonders eindrucksvoll, wenn sich Wanderer auf den einen oder anderen gegenüberliegenden Felsvorsprung vorgewagt haben und so die gewaltige Größe dieser Kreideformationen ins rechte Licht setzen.
Während es uns hier oben zunehmend kühler wird, sehen wir tief unten in einer windgeschützten Bucht Sonnenanbeter liegen. Diesen Winzlingen scheint es richtig gutzugehen. Elegant segeln Möwen klippenparallel vor unseren Köpfen auf und ab, verschwinden hinter nicht einsehbaren Abbruchkanten, um wie aus dem Nichts plötzlich steil aus der Tiefe des Raumes nach oben zu schießen.
Die Vögel scheinen Spaß daran zu haben, die Aufwinde zu reiten, denn Futter sehen wir hier keines. Der beständig wehende Wind lässt uns zunehmend frösteln. Obwohl wir uns nur einige hundert Meter von der Kapelle entfernt haben, ist die Zeit während des Suchens und Findens so vieler Motive deutlich fortgeschritten und so sehen wir uns gezwungen, den Rückweg anzutreten. Wirklich dumm, dass wir uns so mit der Kleidung vertan haben, Michael hätte noch kilometerweit die Küste entlanglaufen können, so beeindruckend sind die Aussichten in dieser von der Natur so reich beschenkten Region Frankreichs. Das sind dann immer die Momente, in denen sich Michael mit der Aussicht tröstet, bei einem weiteren Besuch nicht schon alles zu kennen, sondern auch noch Neues erkunden zu können. Gelegentlich ist dies Selbstbetrug, aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Endlich wieder an der von zahlreichen Bäumen überkronten Straße jenseits der Kapelle angekommen, sind wir komplett durchgefroren. Zwar lässt der Wind deutlich nach, aber die fehlende Sonne ist nicht wirklich hilfreich. Den letzten Kilometer bis zum Fahrzeug packen wir dann aber auch noch und wärmen uns im Auto erst einmal richtig auf.
Was machen wir jetzt noch mit dem angebrochenen Tag? Fahren wir doch mal nach Fécamp und schauen, ob das Städtchen wirklich so öde ist, wie in so manchem Netzbeitrag beschrieben. Ein kurzer Check der Bordelektronik zeigt, dass der Grauwassertank fast voll ist. Da wir vor dem Stadtbummel für unser Gefährt ohnehin einen vernünftigen Abstellplatz benötigen, beschließen wir direkten Kurs auf den Stellplatz in Fécamp zu nehmen. Da können wir dann mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen.
Als wir dort ankommen, ist die V+E-Station belegt, unser Grauwasser muss also noch ein wenig warten. Nach den vielen Kilometern, die wir in den letzten Tagen auf schmalen Landstraße und sperrigen Gassen verbracht haben, genießen wir den weitläufigen Platz. Neudeutsch muss man aber schon feststellen. Der Burner ist das nicht! Immerhin, die Kiste steht sicher und wir können uns in Ruhe auf den Weg ins Städtchen machen.
In Ermangelung ordentlicher Ortskenntnisse versuchen wir uns einem vermeintlichen Getümmel oder Stadtzentrum zu nähern. Strand oder Kirchplatz, das ist hier die Frage? Wir entscheiden uns für den Strand und liegen natürlich wieder einmal goldfalsch. Der Jachthafen, an dem wir vorbeilaufen, ist ja ganz schön, aber kein Betrieb, nichts Aufregendes oder Besonderes weit und breit.
Die Strandpromenade, sofern man dieses große Wort hier überhaupt in den Mund nehmen will, ebenfalls öde. Vielleicht sind wir einfach noch zu früh im Jahr. Gehen wir mal davon aus, dass die Sommertage hier kurzweiliger ausfallen.
Wir sind nicht wirklich hungrig, aber ein kleiner Snack geht immer. Also begeben wir uns an eine Imbissbude, um etwas Junkfood aufzunehmen. Offensichtlich haben wir den Betreiber der Bude etwas auf dem falschen Fuß erwischt. Jedenfalls dauert es eine ganze Weile, bis der die paar Pommes fertig hat. Da wir etwas warten müssen, kommen wir mit dem guten Mann ins Gespräch - in Englisch versteht sich! Das ist immerhin die Sprache die sie auf den gegenüberliegenden Kreidefelsen, also in nicht allzu großer Entfernung sprechen, was den gemeinen Franzosen allerdings nur mäßig interessiert.
Für Fécamp und uns ist der Mann ein Glücksfall, macht er uns doch darauf aufmerksam, dass es hier eine Destille gibt, die entsprechend einer uralten Rezeptur der Benediktiner einen nicht ganz unbekannten Kräuterlikör produziert. Michael hat das selbstverständlich gewusst, aber bei den vielen Informationen, die man sich vor dem Urlaubsantritt in fortgeschrittenem Alter in die Birne klopfen musste, kann schon mal was gedanklich verschüttet werden. Darüber hinaus erfahren wir, wie wir uns dem Stadtzentrum nähern, was wiederum für Angelika von größerem Interesse ist.
Nach dem Bunkern der Pommes begeben wir uns gemächlichen Schrittes in Richtung des Palais Bénédictine. Das Bauwerk ist prächtig, aber wir schnallen dank unserer überragenden Französischkenntnisse wieder einmal nicht, wie wir uns dem vermeintlich edlen Getränk nähern können. Auch wenn sie nicht gespalten ist, führt Michaels inzwischen leicht feuchte Zunge ihn zielsicher an einen Verkaufsstand. Ohne das geringste Verständnis, wie denn der Likör wohl schmecken könnte, möchten wir aber dann doch kein Geld ausgeben.
Jägermeister wär jedenfalls nicht unser Ding - zu bitter. Wir haben ja keine Magenverstimmung, sondern Gelüste. Die Franzosen haben in diesen Dingen bei Michael einen großen Vertrauensvorschuss, aber heute hält er es dann doch lieber mit Lenin. Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Und siehe da, auch hier spricht man Englisch und verweist auf einen nahe gelegenen Verkostungsstand.
Für stolze zwei Euro erhalten wir ein wönziges Schlückchen, wie man in Augsburger Puppenkreisen sagen würde. Also den sollten wir dann wohl in homöopathischen Dosen genießen. Als der erste Tropfen Michaels Zunge berührt, denkt er, ok, das ist wirklich nur ein ganz normaler Kräuterlikör. Aber nur wenig später signalisiert seine Zunge eine Reizüberflutung. Die Kräuter werden derart milde auf dem Geschmacksorgan drapiert, die ihresgleichen sucht.
Da könnten sich die Braunschweiger (Jägermeister) mal eine Scheibe abschneiden. Nach drei weiteren Schlückchen geht der Vorrat zur Neige. Michael könnte jetzt Angelikas Vorrat auch noch verputzen, aber sie war schneller. Mist!
Nebenbei erfahren wir, dass der soeben getrunkene Likör gewissermaßen das Gesöff für das gemeine Volk ist. Es gebe da noch eine andere Qualität, die man empfehlen könne. Michael gönnt sich ja sonst nichts, da ist eine weitere Verkostung ganz sicher noch drin. Das edlere Gebräu schmeckt ähnlich gut, bringt die Kräuter aber noch milder auf die Zunge. Darüber hinaus gibt man uns zu verstehen, dass das Getränk nicht über den Handel zu beziehen ist, sondern nur hier vor Ort käuflich erworben werden kann. Auch wenn Angelika jetzt schon die Augen verdreht, Michael muss beide Flaschen haben, er kann nicht anders. Inklusive Verkostung wechseln fast 80 € den Besitzer und Michael hat dennoch das Gefühl, dass das Geld gut angelegt ist. Wenn wir bei diesen homöopathischen Dosen bleiben, dann werden wir noch lange an diesen schönen Urlaub zurückdenken können. Wunderbare Aussichten. Da sieht man mal wieder, wofür Fremdsprachenkenntnisse gut sind.
Natürlich müssen wir jetzt noch ins Stadtzentrum. Wer weiß schon, was Frau ansonsten alles verpassen würde. Während Angelika einige recht interessante Läden findet, pflegt Michael seine Schaufensterkrankheit. Zur Linderung der Schmerzen findet sich auch das eine oder andere Feinkostgeschäft. Mit Fotos kann Michael allerdings nicht dienen, dafür war die Einkaufsmeile dann doch etwas zu beliebig.
Zurück am WOMO können wir endlich unser Grauwasser ablassen, dann geht es zu unserem schönen Campingplatz in Yport. Mein Dank gilt der Netzgemeinde für diesen Tipp.
Nachdem unser Fahrzeug wieder seine Parkposition auf dem Grün und mit Blick auf das Meer eingenommen hat, wird die soeben eingekaufte Feinkost auf unserem Campingtisch ausgebreitet und anfänglich begleitet mit einem Glas Cidre, später flankiert durch eine Flasche Pfälzer Wein den Geschmacksknospen zugeführt. Ach, wie werden wir das vermissen. Was könnte nun wohl noch der krönende Abschluss sein? Ein wönziges Schlückchen D.O.M Bénédictine? Wir sollten schließlich wissen, ob der Flascheninhalt geschmacklich der heutigen Verkostung entspricht. Um es kurz zu machen. Reklamationsgründe konnten trotz intensiven Bemühens nicht gefunden werden.